Wenn Sie jemals in Frankreich gearbeitet haben, haben Sie wahrscheinlich eine Fülle von hochqualifizierten Ingenieuren bemerkt, die in einer Vielzahl von Branchen arbeiten, von der Luftfahrt über die Automobilindustrie bis hin zu Nachhaltigkeitstechnologien. Tatsächlich hat Frankreich EU-weit jährlich die höchste Zahl von Absolventen in den Ingenieurwissenschaften, vor Deutschland und Großbritannien.
Was macht also Frankreich und insbesondere die Region Paris zu einem so wichtigen Standort im Bereich Ingenieurwesen in Europa? Es gibt eine Reihe von Faktoren, die zu diesem großen Pool junger Talente im Ingenieurwesen beitragen, darunter einige, die Sie vielleicht überraschen werden:
1. Grund: Psychologie. Der niederländische Sozialpsychologe Geert Hofstede erklärt die französische Liebe zum Ingenieurwesen, indem er auf die Bedeutung von Regeln und Gesetzen in der französischen Kultur hinweist. Nach seinem Ranking bei der Vermeidung von Unsicherheit erreichen Frankreich und Europa im Allgemeinen hohe Werte, was so viel bedeutet, als dass Unvorhergesehenes und Veränderungen allgemein nicht gern gesehen sind, da es keine Regeln für den Umgang mit ihnen gibt. Dies bedeutet, dass die Franzosen weniger dazu neigen, extrem risikoreiche Innovationen, wie man sie in den USA sieht, zu verfolgen. Andererseits ist Frankreich exzellent in vielen technischen Bereichen der Wirtschaft, wie z.B. im Ingenieurwesen, da es hier definierte Regeln und Vorgehensweisen gibt, die einzuhalten sind.
2. Grund: eine Fülle von Ingenieurhochschulen in Frankreich. Es gibt 145 Elite-Ingenieurhochschulen in ganz Frankreich, darunter etwa 75 Hochschulen und Universitäten, die hier in der Region Paris Abschlüsse in den Ingenieurwissenschaften anbieten. In Paris und Umgebung finden sich in gebündelter Form die sogenannten „Grandes Écoles“ (Elitehochschulen, für die eine Aufnahmeprüfung erforderlich ist) sowie öffentliche Elitehochschulen wie die École Polytechnique, Paris-Sud, ESIPE und EIDD, von denen viele Kurse oder Abschlüsse in Englisch anbieten. Dass diese Hochschulen auch außerhalb Frankreichs bekannt sind, ist zum Teil den Nobelpreisträgern zu verdanken (die ENS ist die weltweit führende Hochschule, aus der Nobelpreisträger hervorgehen). Im Jahr 2017 waren etwas mehr als 40.000 Studenten an Ingenieurschulen eingeschrieben, ebenso viele wie in den wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen. Das Ingenieurwesen ist eindeutig ein beliebter Karriereweg bei der jungen und wachsenden Bevölkerung Frankreichs.
3. Grund: Die Absolventen finden Arbeitsplätze vor Ort: Die meisten der oben genannten Hochschulen liegen im Süden von Paris und sind im Cluster Paris-Saclay zusammengefasst. Auf der erhöht gelegenen Ebene befinden sich auch Labore und Forschungszentren großer Luftfahrt- und Automobilunternehmen (Airbus, Thales, Mercedes-Benz, Renault) und anderer Technologieunternehmen (Nokia, Dassault). Diese Gegend im Großraum Paris trug maßgeblich dazu bei, dass 2016 mit 19,74 Milliarden Euro die höchsten Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Europa getätigt wurden. Andere Cluster wie ASTech, Cosmetic Valley, Mov’eo und Medicen, die in den Bereichen Luftfahrt, Kosmetik, Verkehr und Gesundheitswesen tätig sind, beschäftigen Tausende von Forschern und erhalten Mittel in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro.
Aufgrund der genannten Cluster im Ingenieurbereich hat die Region Paris die höchste Anzahl an F&E-Mitarbeitern in ganz Europa: 162.000, davon 115.000 im Bereich der Forschung. Das ist weit mehr als das Doppelte wie im Großraum London (60.000), in Stuttgart (73.000) oder in Oberbayern (74.000) für das Jahr 2016.
Dank einer einzigartigen Kombination aus Kultur, Bildung und Geschäftsmöglichkeiten sind Frankreich und die Region Paris führend im Ingenieurwesen sowie im Bereich Forschung und Entwicklung in Europa.